In meinem vorangegangenen Beitrag „Das unmögliche Commitment“ ging es um Widersprüche, die Opportunismus fördern. Je unvereinbarer die Erwartungen des Unternehmens sind, desto absurder wird es für den Einzelnen. Und je absurder es wird, desto opportunistischer wird gehandelt. Diese Formel besagt, dass Regelbruch zugelassen sein muss, um Commitments zu ermöglichen. Es stellt eine hohe Anforderung an den „Code of Conduct“.
Die meisten Unternehmen begnügen sich damit, Regeln einzuführen, wie Reglemente, Richtlinien und Führungsgrundsätze, um Klarheit über die Erwartungen zu schaffen. Aber diese Form von Klarheit allein genügt nicht, um „committed“ zu bleiben. Es bleibt unklar, ob zur Einhaltung des Commitments „Rule Taking“ oder „Rule Making“ erforderlich ist. „Rule Taking“ bedeutet, sich an Ordnungen zu halten und keine Extratouren zu machen, während „Rule Making“ bedeutet, sich über Regeln hinwegzusetzen, Ausnahmen zu schaffen und unangemessene Regeln spontan zu ersetzen. Beide Ansätze, „Rule Taking“ und „Rule Making“, sind im Zusammenhang mit dem Commitment denkbar, obwohl sie sich völlig widersprechen.
Wie kann diese Unklarheit bereinigt werden? Regeltreue und Regelverletzung kommen in der Organisation jeweils auf zwei Arten vor. Diese müssen klar voneinander unterschieden und unvoreingenommen bewertet werden. Denn man ist nicht nur „committed“, indem man sich den Regeln unterwirft. Es gibt viele Situationen, in denen erst die Regelverletzung das Commitment unter Beweis stellt.
Regeltreue kann entweder im Dienste der Vorschrift oder im Dienste der Sache geschehen. Man kann entweder ein Rädchen im Getriebe sein und die Regel automatisch und pedantisch befolgen oder dem Sinn der Vorschrift folgen und bei der Ausführung mitdenken. Letzteres ist der Modellfall für Commitment: Wer mitdenkt und auch mal vom Buchstaben der Regel abweicht, wird als „committed“ betrachtet.
Allerdings erfordert ein solches Commitment von der Organisation ein dialektisches Verständnis von Regeln. Wenn man durch Mitdenken von der Mechanik der Regel abweicht, beginnt man, die Regel zu verletzen. Genau das muss in der Organisation akzeptiert werden. Denn erst hier trennt sich die Spreu der Opportunisten von denjenigen, die wirklich „committed“ sind. Regelverletzung erfolgt entweder im Interesse der Person oder im Interesse des Unternehmens. Man kann entweder ein Machiavellist sein, der sich impulsiv, bequem und gleichgültig gegenüber der Regel verhält, oder man setzt sich eigenverantwortlich über die Regel hinweg, um ein gemeinschaftliches Ziel zu erreichen. In diesem Fall ist man genauso „committed“ wie bei der Regeltreue – vielleicht sogar noch mehr. Man zeigt Intrapreneurship, auch bekannt als „organizational citizenship behavior“, und setzt sich für den gemeinsamen Erfolg ein. Dafür riskiert man persönlich etwas.
Wenn das Unternehmen diese starke Form des Commitments wünscht, muss Compliance auch den Ausnahmefall beinhalten: Regeln befolgen, indem man sie bricht. Eine solche Anforderung stellt eine hohe Herausforderung für den „Code of Conduct“ dar.
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