Weshalb will ich mehr als überleben?

Prof. Dr. Ulrich F. Zwygart

Für einige Menschen, auch in der Schweiz, geht es tatsächlich ums Überleben. Mit einem Minimallohn und vielen wiederkehrenden Verpflichtungen wie Wohnungsmiete, Nahrung, Kleidung und Grundversicherung geht es faktisch ums Überleben. Viele Familien sind auf Doppel- oder sogar Mehrfachverdienste angewiesen. „Selbstverschuldet“, höre ich Leute sagen. Das mag in Einzelfällen zutreffen. Trotzdem sind hier Tendenzen spür- und sichtbar, die zu denken geben. Die Schere zwischen dem Mittelstand und den Bedürftigen darf nicht zu groß werden. Da ist nicht nur der Staat gefordert, auch die Unternehmen und wir alle, weil der Sinn des Lebens nicht nur im nackten Überleben bestehen sollte.

Selbstverwirklichung als egoistisches Ausleben der eigenen Bedürfnisse und Karrierewünsche führt im Extremfall zu Unternehmenszerfall und zu sozialen Ungerechtigkeiten. Selbstverwirklichung macht nur dann Sinn, wenn es um den Einsatz eigener Stärken geht. Jeder Mensch hat sie. Er oder sie muß diese nur erkennen und danach handeln. Wer gemäß seinen Stärken, also seinem Lebensplan, arbeitet und sich engagiert, wird eher erfolgreich sein und eher glücklich werden. Shakespeare sagte, „was Ihr nicht tut mit Lust, gedeiht Euch nicht; kurz, Herr, studiert, was Ihr am meisten liebt“. Und von Fontane stammt das Wort, daß das Glück darin bestehe, da zu stehen, wo man seiner Natur nach hingehöre. Wer glücklich ist, gibt seinem Leben Sinn. Gefordert ist primär jeder einzelne. Das Unternehmen ist insofern beteiligt, als es sinnstiftende Ziele und Arbeiten anbietet. Macht das, was es produziert und verkauft, überhaupt Sinn? Sinn als (Mehr-)Wert verstanden. Herrscht ein Klima der Sinngebung? Werden Menschen mit Respekt und Wertschätzung behandelt? Wird aufmerksames, engagiertes Arbeiten belohnt?

Wenn sich die Mitarbeiter als sinnstiftenden Teil des Unternehmens sehen und ein einzelner seine Stärken einbringen kann, macht das Unternehmen Sinn. Das wäre der Idealzustand: Wir arbeiten nicht nur um zu überleben, sondern auch um unserem Leben Sinn zu geben und glücklich zu sein.

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Prof. Dr. Ulrich F. Zwygart

Honorarprofessor der Universität St. Gallen für Unternehmensführung; Divisionär aD, ehemaliger Managing Director der Deutschen Bank und Chief Learning Officer der Zurich Insurance Group; Berater von Konzernleitungen; Autor mehrerer Bücher über Leadership & Management. 2007 erhielt er den Swiss Economics Books Award.