Prof. Dr. Hans Bernhard Schmid
„Commitment“ ist inzwischen als Lehnwort in die Deutsche Sprache eingegangen, und es wird oft in Kontexten verwendet, in denen es darum geht, sich aufeinander verlassen zu können, ohne daß vertragliche Vereinbarungen oder andere institutionelle Absicherungen bestehen. Es geht typischerweise um so etwas wie eine selbstauferlegte Festlegung und damit eine selbstgewählte Beschränkung der eigenen Optionen ohne externe Garantien. In intimen Beziehungen wird irgendwann ein „Commitment“ erwartet, auch wenn man nicht heiratet — gemeint ist ein Verzicht darauf, von Tag zu Tag andere Beziehungsmöglichkeiten zu evaluieren und nur so lange zusammenzubleiben, bis sich eine „bessere Option“ bietet. Auch im Geschäftsleben wird gern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein „Commitment“ eingefordert, und damit scheint oft gemeint zu sein, daß sich diese die Unternehmensziele zum eigenen Anliegen machen und als verlässliche Partner im Verfolgen dieser gemeinsamen Ziele fungieren sollen, anstatt Dienst nach Vorschrift zu leisten und die individuellen Präferenzen zu optimieren. Das verbindet sich mit der Vorstellung, daß Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „intrinsisch motiviert“ sein sollen, daß sie die Beschränkungen der Optionen, die mit dem entschlossenen Verfolgen von Unternehmenszielen einhergehen, als Ausdruck ihres eigenen Willens auffassen sollen.
Zwischen Ideologie und Vernunft
Die Rede von „Commitment“ nimmt in der Unternehmenskultur leicht ideologische Züge an, geht sie doch mit der Erwartung einher, daß Mitarbeiter mehr tun sollen, als was in ihren eigenen, individuellen Interessen liegt: Sie sollen sich mit dem Unternehmen „identifizieren“ und sich auch dann engagieren, wenn es dafür einmal keine Gratifikation gibt, dieses Engagement also nicht im engen Sinn eine „rationale Wahl“ ist. Umgekehrt steckt in der Rede von „Commitment“ aber auch die Einsicht, daß man mit reiner „rationaler Wahl“ nicht weit kommt, und daß man sich „committen“ können muß, um ein wirklich menschliches Leben führen zu können. Wer bloß „rational wählt“, kann immer nur momentane Ziele verfolgen und ist dadurch Spielball der sich stets wandelnden Wünsche. Erst durch „Commitments“ wird man zu einem Akteur mit Grundsätzen und Charakter, und zu einer verläßlichen Kooperationspartnerin. Es geht also um zeitliche und soziale Ausdehnung der eigenen Akteurschaft: langfristige Ziele auch über einen momentanen Wandel der eigenen Präferenzen hinweg verfolgen können, gemeinsam mit anderen Dinge tun, die niemand allein vollbringen kann. „Commitments“ mögen als irrational erscheinen, aber ohne sie kann man nicht vernünftig sein.
Was aber ist das überhaupt: ein Commitment? Philosophinnen und Philosophen haben verschiedene Begriffe davon entwickelt, und sie lassen sich danach unterscheiden, wie weit sie sich vom Modell der rationalen Wahl und des „homo oeconomicus“ distanzieren. Ich unterscheide hier nach zunehmender Distanzierung drei Begriffe: den „konservativen“, den „revisionistischen“ und den „revolutionären“ Begriff.
Der „konservative“ Begriff
Der Ökonomie-Nobelpreisträger Thomas C. Schelling und der Philosoph Jon Elster analysieren „Commitment“ als Fähigkeit, Versuchungen widerstehen zu können. Das Paradebeispiel ist der berühmte Fall des Odysseus, der gerne den Sirenengesang hören möchte, aber weiß, daß jeder Mensch, der die Sirenen hört, zu den Sirenen hinstrebt und dort zugrunde gehen wird. Odysseus läßt sich deshalb von seinen Matrosen, denen er die Ohren verstopft, an den Mast binden. Nach diesem Modell lassen sich Festlegungen so verstehen, daß wir uns dadurch zukünftige Handlungsmöglichkeiten kausal verbauen, um sicherzustellen, daß wir beim gefaßten Plan bleiben — indem wir uns eine Struktur auferlegen, die sicherstellt, daß wir nicht abweichen werden. Damit wird in dieser „konservativen“ Sicht ein „Commitment“ selbst als „rationale Wahl“ gesehen, nur daß das, was „gewählt“ wird, eine Struktur von Handlungsmöglichkeiten ist.
Der „revisionistische“ Begriff
Autoren wie der Ökonomie-Nobelpreisträger Amartya Sen und die amerikanische Philosophin Margaret Gilbert sehen „Commitments“ nicht bloß als kausale Selbstbeschränkungen, sondern als so etwas wie Selbstverpflichtungen. In dieser „revisionistischen“ Sicht besteht „Commitment“ in der Fähigkeit, aus Gründen zu handeln, auch wenn man einmal gerade nicht recht dazu motiviert ist. Was uns „festlegt“, sind unsere Gründe, und indem wir eine Absicht bilden oder einen Plan fassen, schaffen wir damit für uns selbst einen Grund, das Beabsichtigte auch wirklich umzusetzen — auch wenn uns zwischendrin einmal die Motivation fehlt. Wir könnten zwar anders (anders als Odysseus), aber wir sollten eben nicht. Die Kraft des „Commitments“ liegt darin, etwas zu tun, weil man es soll — auch wenn man gerade einmal nicht will.
Der „revolutionäre“ Begriff
Für Philosophen wie Peter Winch und Robert Brandom spielt „Commitment“ eine noch viel fundamentalere Rolle. Die These lautet, daß man schon „Commitments“ braucht, um überhaupt so etwas wie momentane Ziele und individuelle Handlungsoptionen zu haben. Denn nur die Normen unserer Sprache geben unserem Wollen einen konkreten Gehalt, und deshalb muß man sich an die Regeln unserer Sprache halten, wenn man überhaupt etwas will. Sprachverwendende Wesen sind a priori „committed“. Dieser Begriff ist „revolutionär“, weil er „Commitment“ nicht als speziellen Fall einer rationalen Wahl oder als alternativen Modus praktischen Überlegens sieht, sondern als Grundlage der Rationalität selbst.
Voraussetzung für ein „Commitment“
Für die meisten praktische Belange scheint der zweite Begriff der einschlägige zu sein — der erste ist zu simpel, der dritte zu fundamental. Wer wirklich „committed“ ist, wird diesem Begriff zufolge tun, was sie oder er soll, auch wenn sie oder er gerade einmal nicht recht will, und zwar deshalb, weil sie oder er selbst — allein oder gemeinsam mit anderen — die Autorin oder der Autor dieses Sollens ist. Dieser letzte Punkt ist entscheidend. Im Zusammenhang der Unternehmenskultur setzt das der Erwartung von „Commitments“ seitens der Mitarbeiter enge Grenzen. Wo den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Autorschaft der Unternehmensziele nur eingeredet wird, kann kein „Commitment“ eingefordert werden. Mithin setzen „Commitments“ so etwas wie eine demokratische Unternehmenskultur voraus, wo die Unternehmensziele gemeinsam gesetzt und nicht von außen auferlegt werden.
Hans Bernhard Schmid ist Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Wien. Mit seinem Buch „Moralische Integrität“ (Frankfurt 2011) legte er eine revolutionäre Neudeutung des berühmten Milgram-Experiments vor.
Prof. Dr. Hans Bernhard Schmid
Hans Bernhard Schmid ist Professor für Politische Philosophie und Sozial philosophie an der Universität Wien. Mit seinem Buch „Moralische Integrität“ (Frankfurt 2011) legte er eine revolutionäre Neudeutung des berühmten Milgram-Experiments vor.