Korruption kostet Kompetitivität 

Prof. Dr. Birger P. Priddat

Korruption scheint normal zu werden. In allen Bereichen, in die die Medien leuchten, finden wir korrupte Netzwerke — im Sport besonders auffällig, bei den großen staatlichen Bauvorhaben, zwischen vielen Firmen, zwischen Kommunen und Firmen, bei den Waffenproduktionen, im internationalen Handel breitflächig, im Entwicklungshilfekontext etc. Es ist immer das gleiche Muster: Jemand besticht jemanden, um Vorteile vor anderen zu erlangen. Korruption ist Ausschaltung von Wettbewerb und Marktgerechtigkeit. 

Managementversagen 

Dazu braucht es immer auch jemanden, der die Bestechung annimmt, weil er die Kompetenz hat, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen (gatekeeping). In Firmen wie Behörden ist das zugleich ein Managementversagen: die Kontrolle funktioniert nicht, entweder, weil die Vorgesetzten an der Korruption teilnehmen, oder weil man den unteren Chargen vertraut, ohne zu prüfen, ob das Vertrauen gerechtfertigt ist. 

So wie Korruption seitens der Bestechenden der Kauf von Eintrittskarten für ein Spiel ist, zu dem sie von ihrer mangelnden Kompetenz her gar nicht teilzunehmen berechtigt wären, so ist die Korruption von der Seite der Bestochenen her eine Machtaneignung, die sie in den offiziellen Organisationen gar nicht besitzen. Der Beamte oder Angestellte, der korrupte Zugänge verschafft, hat nicht nur Macht über diese Vorgänge, sondern auch implizit über seine Behörde/Firma. Er ist in diesen Momenten der heimliche Chef. 

Alle sind Verlierer 

Beide — Bestechende wie Bestochene — sind Verlierer (losers): die einen, weil deren Marktposition nicht mehr wettbewerbsfähig ist, und die anderen, weil deren Rang in der Hierarchie niedrig ist, bei geringem Karrierepotential. Natürlich gibt es auch andere Motive, beispielsweise das Gefühl, unberechtigt übergangen worden zu sein. Die Korruption schafft sich eigene Milieus der Anerkennung; den Status, den sie in der Wirtschaft und in der Gesellschaft nicht bekommen, nehmen sich die Korrupteure „verdeckt“. Die gelungene Korruption ist für sie ja ein Zeichen ihrer, von den anderen übersehenen, Kompetenz. Eigentlich möchten sie allen anderen zeigen, was für „smarte Hechte“ sie sind, aber genau das ist ihnen wegen der strafrechtlichen Konsequenzen genommen. Viele Korruptionen werden aufgedeckt, weil einer der Beteiligten nicht an sich halten kann: Er will, daß andere davon wissen und seinen vermeintlichen Statusgewinn einstreichen. 

Simulation 

Korruption ist Betrug: aber man betrügt nicht den anderen, mit dem man korrupte Transaktionen eingeht, sondern den, für den man arbeitet. Die eigene Firma/Behörde wird geschädigt. Dieser Betrug geschieht auf Kosten von „Dritten“. Statt b einen schlechte Qualität betrügerisch zu verkaufen, verkauft a dem b eine gute Qualität, die nicht ihm gehört, sondern der Firma c, zu einem niedrigen Preis. a betrügt c zugunsten von b und zugunsten seiner selbst. Formal handlungsberechtigt, führt a formal gültig einen informellen illegalen Handel durch, indem er simuliert, er verfüge über die Ware und die Konditionen. Er stiehlt einen Teil des Eigentums von c. 

Zugangsproduktion durch Machtmißbrauch 

Korruption umfaßt ein Spektrum von Mißbrauchsbeziehungen, unter denen die Vorteilsnahme nicht dominieren muß — als Mißbrauch anvertrauter Macht zu privatem Vorteil, unabhängig davon, ob die Handlung unter Strafe steht oder nicht. Darunter fallen dann zum Beispiel auch Untreue, Ämterpatronage und überzogene Selbstversorgung von (in eigener Sache entscheidenden) Amtsträgern. 

Viele Korruptionen sind Netzwerkkorruptionen, das heißt, Leistungen in Netzwerken (und Seilschaften), die sich später einmal für die eigene Positionierung auszahlen. Hier kann niemand auf unmittelbare Vorteilsnahme verklagt werden, und dennoch findet korruptiver Machtmißbrauch statt — gleichsam investiv: als Investition in einen Netzwerkzusammenhang, dessen returns on investment später erfolgen, wenn gar keine kausale Beziehung mehr geahnt wird oder nicht mehr offensichtlich ist (wenn der Verteidigungsausschuß z.B. einen Waffenhandel genehmigen würde, für dessen korruptives Durchwinken der Betreffende später, wenn er seine politische Karriere beendet, bei der Waffenfirma einen Aufsichtsratsposten bekommt). 

Korruption kann, über Netzwerke, Clubform annehmen. Man sichert sich Monopolstrukturen auf Märkten. Korruption ist somit ein Marktzutritt für losers, die unter Wettbewerbsbedingungen nicht mehr mitspielen würden. Korruption in der Wirtschaft bedeutet, Zugänge zu produzieren. Korruption braucht gate-keepers. Zugangsproduktion ist gewöhnlich ein politisches Geschäft: wer hat welche Netzwerke, die Zugänge herstellen können zu Entscheidern. In den Zugang müssen Angebote mitgebracht werden, die der andere akzeptiert. Korruption ist eine Konstruktion der Partnerinteraktion im laufenden Wettbewerbsfeld, welche eigene Marktbedingungen herstellt: quasi-Monopole. Damit vollziehen die Akteure nur etwas, was im Markt sowieso geschieht: Kartellbildung. 

Parasitäres Spiel 

Korruption ist — in dieser Lesart — eine besondere Art der Finanzierung seiner ökonomischen Aktivitäten. Da man nicht mehr wettbewerbsfähig ist, muß man alles daran setzen, Preise zu erzielen, die auf dem Markt gewöhnlich nicht gezahlt werden. Man muß sich seinen eigenen Markt schaffen. Korruption ist eine Marktbildung besonderer Art. Es werden ‚neue Märkte‘ in den vorhandenen kreiert. Man braucht nur Partner, die mitspielen. Solange der Ausgangsmarkt es nicht merkt, läuft das parasitäre Spiel. Korruption ist notwendig parasitär angelegt: sie braucht einen Wirt, einen Spender, der korruptiv ausgenommen werden kann. Ohne diese Basis kann die Korruption keine eigene Wertschöpfung generieren. 

Einsame Schatzbildung 

So sehr die Korruption illegale Formen der Wertschöpfung kreiert, so gelingt es ihr nicht in dem Maße, wie man eigentlich präferiert, soziale Anerkennung zu produzieren. Das entwertet die Gewinne. Die Korrupteure werden sozial arm. Ihr monetärer Gewinn kann nicht sozial demonstriert werden. Ihre Macht bleibt leer. Sie bleiben, wenn es ihnen gelingt, verdeckt zu bleiben, einsame Schatzbildner, die davon träumen, was sie hätten alles werden können — eine besondere Form einer deformation professionelle

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Prof. Dr. Birger P. Priddat

Professor auf dem Lehrstuhl für Volkswirtschaft und Philosophie an der Universität Witten/ Herdecke, von 2007-2009 deren Präsident. Gastprofessuren an den Universitäten Basel und Zeppelin, Friedrichshafen; 2011-2012 Fellow am Exzellenzcenter der Universität Konstanz. Wichtigste Bücher: 1990 Hegel als Ökonom; 1998 Moralischer Konsum; 2002 Theoriegeschichte der Ökonomie; 2004 Moral und Ökonomie; 2005 Unvollendete Akteure. Komplexität der Ökonomie; 2006 Irritierte Ordnung: Moderne Politik; 2006 Gemeinwohlmodernisierung; 2007 Moral als Indikator; 2008 Karl Marx; 2008 Wirtschaft durch Kultur; 2009 Politik unter Einfluß; 2012 Diversität, Steuerung, Netzwerke; 2012 Akteure, Verträge, Netzwerke. Der kooperative Modus der Ökonomie; 2014 Homo Dyctos. Der Netzmensch; 2014 Economics of persuasion. Ökonomie zwischen Markt, Kommunikation und Überredung. Neue Einsichten in der Ökonomie, Marburg 2015.