Totenschädel oder schöne Frau

Eine Hand hält einen Stift mit einem transparenten Wort.

Unklare Formulierungen im „Code of Conduct“ wirken wie ein Vexierbild. Was einmal als Beweis für die Integrität des Verantwortlichen gilt, kann ein anderes Mal als Beleg seiner Skrupellosigkeit interpretiert werden. Ein solches Vexierbild der Integrität steigert die ethischen Risiken im Unternehmen.

Unklare Aussagen im „Code of Conduct“ funktionieren wie ein Vexierbild. Ein Vexierbild lässt niemanden dasselbe sehen. Es ist zweideutig, ähnlich dem berühmten Gemälde von Charles Gilbert, das entweder eine schöne Frau oder einen Totenschädel zeigt. Das Bild zeigt beides, jedoch nicht für alle und nicht gleichzeitig.

Was durch unklare Aussagen im „Code of Conduct“ im Unternehmen bewirkt wird, ist eine brisante Labilität sowohl der Erwartungen als auch der Wertungen. Handlungen und Entscheidungen können unterschiedlich interpretiert werden. Was einmal als Beweis für die Integrität des Verantwortlichen gilt, kann ein anderes Mal als Beleg für seine Skrupellosigkeit dienen. Das Urteil kann schnell kippen, beispielsweise von selbstloser Einsatzbereitschaft zu selbstsüchtiger Verbissenheit. Dann wird die im „Code of Conduct“ geforderte „Leidenschaft“ plötzlich zum Maßstab, unter dem ein hohes Engagement absurdweise zum Verhängnis wird.

Unklare Aussagen im „Code of Conduct“ sind nicht immer unbeabsichtigt. Charles Gilbert verfolgte beispielsweise die Absicht, eine Lebensweisheit kunstvoll zu vermitteln: Der Vergänglichkeit unterliegt auch die Schönheit. Mit unklaren Aussagen im „Code of Conduct“ sollen jedoch keine Lebensweisheiten vermittelt werden. Vielmehr entsteht ein moralischer Spielraum, eine schillernde Kultur, in der das zweideutige Lippenbekenntnis die Oberhand gewinnt. Gewollt ist dann, dass Aussagen aus dem „Code of Conduct“ das Geschäft nicht beeinträchtigen. Werden sie offiziell verkündet, darf sich jeder dabei denken: „Ich höre, was du sagst, ich weiß, was du meinst.“

Die Frage nach Integrität im Unternehmen wird so zu einer Frage nach dem Spielraum, den die Unternehmensführung mit ihren Aussagen zur Integrität offen lässt. Zeichnen diese Aussagen ein Vexierbild der Integrität, erhöhen sie das ethische Risiko, das die Unternehmensführung in Kauf nehmen muss.

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