Tatsächlich ist jedes Unternehmen darauf ausgelegt, den einzelnen ersetzbar zu machen.
Es verlangt von ihm buchstäblich Absurdes: nicht mehr zu wollen, als im System zu überleben. Das birgt auch für das Unternehmen ein Risiko.
Unvergesslich ist Ferdinand Piëchs Bonmot anlässlich eines Spiegel-Interviews 1996: „Jeder ist ersetzbar – auch ich.“ Der Satz ist pikant. Er besagt im „auch“, wie wir uns gegen ihn sträuben. Letztlich wollen wir für unersetzbar gelten, weil wir – jeder von uns als individuelle Persönlichkeit – in letzter Hinsicht unvergleichlich und einmalig sind.
Tatsächlich ist jedes Unternehmen darauf ausgelegt, den einzelnen ersetzbar zu machen.
Aus Sicht des Systems, das funktionieren muss, ist der einzelne ein sogenannter „Kontingenzfaktor“, ein Faktor des Zufalls, ein Faktor der Unberechenbarkeit. Funktioniert auf einmal der einzelne nicht mehr wie geplant, muss das System gegenüber einer solchen Störung stabil bleiben. Zur Systemstabilität gehört, dass ich als einzelner bei Bedarf durch einen anderen ausgetauscht werden kann.
Aus Sicht des einzelnen liegt darin ein persönliches Risiko:
Ich erwarte, als einzigartiges, unverwechselbares Individuum Anerkennung zu ernten, und riskiere, in dieser Erwartung abgrundtief enttäuscht zu werden.
Allerdings ist – und das ist hier mein entscheidender Punkt – dieses Risiko nicht bloß ein persönliches Risiko des einzelnen.
Es ist auch für das Unternehmen ein Risiko. Als einzelner frage ich mich: „Für was lohnt sich mein Einsatz, wozu das alles? – wenn ich doch nichts weiter als ein austauschbares Rädchen im Getriebe bin.“ Das Unternehmen muss auf diese Frage vorbereitet sein, kann aber die Antwort nicht selbst geben.
Inwiefern?
Ob eingestanden oder nicht, jeder ist auf der Suche nach einer Antwort auf die Wozu-Frage. Wir alle sind auf der Suche nach Sinn. Nur Sinn gibt uns die Kraft, die Aufgabe selbst dann noch zu erfüllen, wenn der Spaßfaktor gegen Null und die Mühe gegen 100 geht. Insofern kann nur der einzelne seinem Job einen solchen Sinn geben, der ihn durch das Tal der Tränen trägt.
Deshalb steht das Unternehmen in einem Spannungsfeld:
Keinesfalls darf es dem Job auch noch einen Sinn einzuschreiben versuchen. Das wäre eine ideologische Vereinnahmung des einzelnen – unerträglich und inakzeptabel für ein sich selbst verantwortliches Individuum. Indessen, das Unternehmen, für das die Sinnsuche des einzelnen nichts zählt, nur finanzieller Return – dieses Unternehmen vereinnahmt ebenso. Es verlangt vom einzelnen buchstäblich Absurdes: nicht mehr zu wollen, als im System zu überleben.
Aus diesem Spannungsfeld gibt es nur einen Ausweg
Eine Kultur etablieren, in der die persönliche Suche nach Sinn auch in der Härte des täglichen Jobs agendiert ist – als persönliches Entscheidungskriterium in Dilemmasituationen, als persönliches Gesprächsthema im Mentoring, als Ausgangspunkt einer auf die einzelne Person ausgerichteten Führungsmethodik. Auf diese Weise wird die besagte Spannung erträglich: Das Unternehmen akzeptiert, dass der einzelne als Sinnstifter unersetzbar ist. Der einzelne akzeptiert, dass er in seiner Funktion ersetzbar ist. Das ist und bleibt ein Widerspruch, aber es macht einen Unterschied, ob das Unternehmen ihn bearbeitet oder ignoriert.
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