Die jährliche Leistungsbeurteilung ist kein Me??-, sondern ein Machtinstrument. Sie ist symbolisches Management.
Ist Leistung me??bar? Ja. Düsentriebwerke und Elektromotoren haben Leistung, und diese ist exakt me??bar ??? in Schub mal Geschwindigkeit, Watt oder Pferdestärken. Aber die Leistung von Menschen, Managern und Spezialisten? Eine Leistungsmessung in der Physik ist objektiv: ???Objektiv??? bedeutet, da?? man im Prinzip imstande ist, Me??fehler und mit ihnen die tatsächliche Leistung in Abgrenzung von vermeintlicher jederzeit zu erkennen. In dieser Hinsicht ist ???objektiv??? das Gegenteil von ???subjektiv???. ???Subjektiv??? bedeutet: das Me??resultat ist das Resultat willkürlicher Deutung.
Mit dieser Präzisierung lautet die Antwort auf die Frage: Nein. Subjektivität umgibt, durchdringt und zersetzt hoffnungslos jeden Versuch, die Leistung des Abteilungsleiters, der Sekretärin, des Verkäufers zu messen. Die ausgeklügelten Leistungsbeurteilungssysteme der HR-Abteilung, teuer eingekauft und schwer mit Pseudowissenschaft aufgeladen, ändern daran nur eines: Die Willkürlichkeit der Beurteilung wird verschleiert. Denn die Objektivität solcher Systeme scheitert in drei Hinsichten:
1. Objektivität verlangt einen unabhängigen Standpunkt. Diesen verunmöglicht die Tatsache, da?? der Beurteiler demselben System wie der Beurteilte angehört, da?? zwischen Beurteiler und Beurteiltem eine Machtasymmetrie besteht (Weisungsbefugnis), da?? der Beurteilte dem Beurteiler gefährlich werden könnte (interne Konkurrenz), da?? der Beurteiler den Beurteilten dankbar machen will (Don Corleone), da?? der Beurteilte den Beurteilermit Zuneigung besticht (Schmeichler und Einflüsterer), da?? Glanz und Elend des Beurteilten auf den Beurteiler abstrahlt (Prestige). Deshalb sagt der Vorschlag zur Beförderung im Leistungsbeurteilungsformular mehr über die Beziehungsqualität zwischen Beurteiler und Beurteiltem aus als über die erbrachte Leistung.
2. Objektivität verlangt einen nichtperspektivischen Zugang. Die Beobachtung im Alltag ist perspektivisch. Das Problem, das daraus entsteht: Die Kausalität zwischen Erfolg und persönlicher Leistung kann nicht bestimmt werden. Bei Basketballteams den Tabellenstand, bei Panzerbesatzungen die Treffergenauigkeit, bei Landvermessern die kartographische Präzision, bei Supermarktmanagern den Umsatz zu messen, ist aus diesem Grund niemals eine objektive Leistungsmessung ??? der erste Tabellenplatz könnte durch Verletzungspech der anderen Teams, die Trefferquote durch Mückenstiche, die Präzision durch Rost im Gerät, die Umsatzsteigerung durch den Bau eines Autobahnzubringers beeinflu??t sein. Und selbst wenn diese ???Sonderbedingungen??? einbezogen würden, weder ihre Vollständigkeit noch ihr Einflu??grad ist objektiv abschätzbar. Das Kreuz im Leistungsbeurteilungsformular bei ???Ziel erreicht??? oder ???Ziel nicht erreicht??? sagt, wissenschaftlich gesehen, viel mehr über den Plan aus als über die Leistung.
3. Um Standpunktabhängigkeit und Perspektivität zu umgehen, behilft man sich mit Vergleichsaussagen. ???30% der Mitarbeiter sind Spitze, 60% sind mehr oder weniger gut, 10% sind schlecht??? ist allerdings eine Feststellung, welche so lange nichts über die Leistung der Mitarbeiter aussagt, wie es nicht eine Lichtgeschwindigkeit oder einen absoluten Nullpunkt in der Methode der Leistungsbeurteilung gibt. Auf ebensolche Konstanten kann Objektivität nicht verzichten, und sie fehlen hier. Das hat damit zu tun, da?? der Vergleich ???gut-schlecht??? im Gegensatz zur Physik über unterschiedlich auslegbare Parameter zustande kommt. So bedeutet beispielsweise der Parameter ???hohe Sozialkompetenz??? bei Teamleiter x ???er überredet jeden???, bei Teamleiter y ???er kann zuhören???. Im einen Fall würde die Leistung über etwas ganz anderes (???Wieviele hat er überredet????) gemessen als im anderen (???Wie lange hat er zugehört????). Wenn die Beurteilungskriterien vieldeutig sind, scheitert auch die relative Leistungsbeurteilung am Subjektivitätsproblem.
Was folgt daraus? Leistungsbeurteilung ist niemals Leistungsmessung. Sie ist sogenanntes ???symbolisches Management???. Sie mi??t keine Leistung, aber sie symbolisiert sie. Sie symbolisiert, wie sehr das Unternehmen dem Leistungsprinzip verpflichtet sein will. Aber sie symbolisiert auch: Bei uns hat der Chef die Macht, über das Schicksal seiner Leute zu bestimmen. Jeder unter uns wird kontrolliert. Wir spielen die Reise nach Jerusalem.